Die Fahrtenproa
Seid die ersten großen "Serienproas" in den letzten Jahren vom Stapel gelaufen sind, ist die "Fahrtenproa" keine Utopie mehr, sonder kann langsam Wirklichkeit werden. Aber Proa ist nicht gleich Proa. Es gibt die original pazifische Proa mit dem kleinen Ausleger in Luv und die atlantische Proa mit dem großen Ausleger in Lee. Die nachfolgenden Bemerkungen betreffen in erster Linie die Pazifische Proa. Als Fahrtenboot wird diese mit einem Leepod (Aufbau der nach Luv herausragt) zum Schutz vor dem Durchkentern ausgerüstet. Im Proa-Directory finden sie eine Sammlung aller bereits gebauten Fahrtenproas.
(Ama=kleiner Auslegerrumpf in Luv; Aka=Verbindungsträger/Beam; Vaka=großer Hauptrumpf in Lee)
Die wesentlichen Vorteile
Es ist schwer die einzelnen Bereiche voneinander zu trennen, da sie sehr oft überlappen. Andererseits kann jeder Vorteil auf verschiedener Weise oder in Kombination mit anderen herbeigeführt werden, bzw. beinhaltet manchmal unterschiedliche Nachteile.
1. Flexible Reaktion
Eine Proa reagiert wie ein Einrümpfer selbständig auf Windeinflüsse. Sie krängt und /oder fällt automatisch ab.
- Der Schleppwiderstand des Ama wird durch einen (in Fahrtrichtung) vorgezogenen Segeldruckpunkt kompensiert. Taucht der Ama in einer Böe aus dem Wasser, führt das automatisch zum (sicheren) Abfallen.
- Das Boot ist mit einem Lee-Pod (Rumpf-Ausbuchtung nach Lee) versehen. Bei starker Krängung taucht dieser ein, gibt Auftrieb und bewirkt ebenfalls ein automatisches Abfallen.
- Das Boot kann so über 45 Grad krängen und sich selbständig wiederaufrichten wie ein Monohull.
- Im Idealfall sind die Bauteile des Boots (Vaka, Akas, Ama, Rigg) untereinander flexibel (bis zu einem gewissen Grad) um Krafteinwirkungen dynamisch abzufangen.
2. Schwach belastete Strukturen
Krafteinwirkungen durch Wind und Welle können mit relativ geringer Belastung innerhalb des Systems "Proa" abgefangen werden. Einige Beispiele:
- Durch unterschiedliche Länge und Masse von Ama und Vaka werden im Seegang geringere Kräfte aufgebaut, die selten gleichzeitig auf das Boot einwirken.
- Hebt eine Welle den Ama an, bewirkt dies lediglich eine Drehung des Vaka in Querrichtung um wenige Grad. Die Träger werden nur gering belastet.
- Ein im Vergleich zur Bootsgröße niedriger Segeldruckpunkt bewirkt nur geringe Kräfte im relativ kleinen Rigg.
- Fällt eine Böe in das Rigg, muß nur das geringe Gewicht des Amas am Hebelarm Aka/Rigg bewegt werden.
3. Proportionalität
Die Proportionen des Systems "Proa" unterscheiden sich wesentlich von anderen Mehrrumpfbooten, bzw. Einrümpfern.
- Das Längen-Breitenverhältnis der Rümpfe ist mindestens 1:15 in der Wasserlinie. Dies hat einen geringen Wellenwiderstand bei hoher Geschwindigkeit zur Folge.
- Das Gewicht ist zur Bootsgröße sehr niedrig; die Verdrängung einer 12 m Proa kann unter einer Tonne liegen.
- Die Segelfläche ist im Verhältnis zur Bootslänge klein (50 qm bei 12 m Länge) und zum Gewicht groß (50 qm pro Tonne).
- Um z.B. den Lebensraum eines 9 m Trimarans abzubilden, benötigt man eine Proa mit mindestens 12 m Länge (aber bei gleichen Kosten).
4. Performance
Eine Proa segelt anders als andere Segelboote.
- Sie ist sehr schnell bei leichtem und mittlerem Wind, da sie hier ihre zum Gewicht relativ große Segelfläche und geringe benetzte Unterwasserfläche ausspielen kann
- Sie wird aufgrund der geringen Massen schnell beschleunigen, aber auch schnell wieder abbremsen
- Sie segel vorwärts und rückwärts und kann problemlos leewärts driften, was beim Manövrieren in engen Buchten, Häfen von Vorteil sein kann.
- Sie ist im Verhältnis immer größer als vergleichbare Boote (bei gleichem Lebensraum und Baukosten) und alleine dadurch schneller und sicherer.
5. Selbstrettungsfähigkeit/Sicherheitsfaktor
Dieser Vorteil ist letztlich die Summe der oben genannten. Zusätzlich ist die Proa der einzige Mehrumpfbootstyp, bei dem ein selbständiges Wiederaufrichten nach einer 90 Grad Kenterung denkbar ist. Und dies ohne, bzw. mit geringem Aufwand seitens der Besatzung.
Die wesentlichen Nachteile
Der einzige Nachteil ist die noch geringe Verbreitung und das zu sehr theorielastige Wissen um diesen Bootstyp. Praktische Erkenntnisse werden erst in den letzten Jahren (dank Internet) ausgetauscht, können doch die echten Praktiker weltweit an zwei Händen abgezählt werden. Doch Proasegeln ist keine Geheimwissenschaft mehr - die Entwicklung geht voran und jedes Jahr werden mehr neue Boote gebaut - und das Wissen wächst.
Resümee
Das bisher Zusammengetragene ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluß und oft noch graue Theorie. Es zeigt sich aber, daß sich in vielen Köpfen viele gute Gedanken angesammelt haben. Was noch fehlt ist der Sponsor, der anstatt Millionen in UmdieWelt-Regatten zu verpulvern, einen Quantensprung in der Multihullentwicklung finanziert. Denn die 'moderne' Proa ist heute (fast) immer noch da, wo der 'moderne' Katamaran vor 50 Jahren war. Viele Pioniere geben ihr Bestes, machen aber noch keinen Frühling. Kritik, Ergänzungen und Anregungen wie immer erwünscht.
Othmar Karschulin
Mit weniger Ernsthaftigkeit kann man sich mal im Proa Store umsehen - nach dem Motto "wie bestelle ich mir eine Proa".