Schwenkruder für die Proa

Studie von Herbert Wenskus

I. Das Problem

Die Kontrolle über ein Fahrzeug steht und fällt mit seiner Steuerung – eine Binsenweisheit. Schwächen in der Ruderanlage begrenzen die Leistungsentfaltung und die Sicherheit jedes Wasserfahrzeugs. Dies gilt insbesondere für ein potentiell schnelles Fahrzeug wie der Proa.

Im Beitrag „Hat die Proa noch eine Zukunft?“ vom Januar 2000 habe ich Überlegungen darüber angestellt, warum dieser Fahrzeugtyp bis heute bei uns keine nennenswerte Verbreitung gefunden hat. Es hat sich gezeigt, dass die Führung einer Proa außerordentlich hohe Anforderungen an die Mannschaft stellt. Anforderungen, die auch durch den Charakter der Proa als echter Doppelender bedingt sind. Problematisch ist insbesondere die Steuerung bzw. die Ruderführung, die Wahl der geeigneten Besegelung und die Stabilisierung bzw. Kentersicherheit. Die von den Mikronesiern hierzu gefundenen Lösungen hatten weithin eine hohe Mannschaftsstärke zur Voraussetzung, eine Voraussetzung, die in der Südsee leichter zu erfüllen war als heute in unseren Breiten. Auf den mittelgroßen Proas von zehn Meter Länge waren immerhin fünf bis sieben Mann an Bord; eine solche Mannschaft, die auch noch proakundig ist, bringt ein Fahrtensegler bei uns auf Dauer kaum auf.

Die im Internet kursierenden Lösungsansätze der technischen Proa-Probleme kreisen im Kern um die Frage, wie das historisch überlieferte Konzept der Proa unter der Voraussetzung der heute üblicherweise bestehenden Unterbemannung auf Sportbooten für die Moderne nutzbar gemacht werden kann. Konkret geht es dabei um die Frage, wie anstelle einer hohen Mannschaftsstärke Ersatzkonstruktionen für die sichere Führung einer Proa entwickelt werden können. Für das heikle Ruderproblem der Proa stelle ich hier eine Lösung vor.

II. Der gedankliche Ansatz

In meinem Beitrag vom Januar 2000 habe ich u.a. über das Skeg-Ruder von Newick/Brown und über das Trommel-Ruder von Birger Kuhlmann gesprochen. Beiden Rudern ist als Steckschwertrudern die Schwäche gemein, dass sowohl das Ruder als auch der Rumpf bei einer Grundberührung bruchgefährdet sind. Bei beiden Konstruktionen sind Einschnitte in Rumpf und Deck erforderlich, wobei für das Trommel-Ruder besonders große Löcher geschnitten werden müssen, was zur Wahrung der strukturellen Festigkeit aufwändige Verstärkungen im Rumpf notwendig macht. Der Bau des Trommel-Ruders ist technisch anspruchsvoll und verlangt Präzision. Seine Fernbedienung vom zentralen Cockpit aus ist kompliziert. Anders als im Heckbereich der modernen Einrumpfboote, für die das Trommel-Ruder konstruiert wurde, ist die Spantform der Proa im Ruderbereich in der Regel nicht flach, was bei Ruderlage zu Brüchen im Linienverlauf und damit zu Wirbeln führt. Für Proas mit asymmetrischen Rümpfen scheidet dieses Ruder daher eigentlich aus.

Die klassische Steuerung der Proas, Ndruas und Doppelboote in der Südsee mit einem oder mehreren Steuerriemen krankte daran, dass die Rudergänger auf den großen Booten wegen der Ein-Punkt-Lagerung der Steuerriemen bei Wind und hoher See schnell an ihre Belastungsgrenze kamen und wegen Erschöpfung häufig unterstützt oder ausgewechselt werden mussten. Dieses Problem konnten die Südseebewohner in der Regel mit der großen Mannschaftsstärke einigermaßen auffangen. Die Ruderkraft und die Kontrolle über das Fahrzeug hielten sich dennoch in Grenzen. So dürften auch die Schwierigkeiten bei den Probefahrten mit einem Nachbau der 12 m Marianen-Proa für Kapitän Ratsey, die in den 60er Jahren von einer 5-Mann-Crew durchgeführt wurden, mit der unzureichenden Steuertechnik zusammengehangen haben. Ein Crewmitglied beschrieb die Proa als so unkontrollierbar „wie einen vor Durst verrückten Büffel, der ein Wasserloch gewittert hat“. Die Crew verwendete für die Steuerung nach dem alten Vorbild einen langen Steuerriemen. Mit einer weniger anstrengenden Steuerung hätten die Probefahrten wahrscheinlich zu einem anderen Ergebnis geführt.

Der einfache Steuerriemen, mit dem auch heute noch experimentiert wird, mag bei kleinen Proas in geschützten Gewässern noch immer eine adäquate Lösung sein; der Rudergänger kann damit aber leider nur sehr begrenzt für Trimmzwecke auf die Auslegerbrücke hinauswandern, was gerade bei kleinen Fahrzeugen und bei Einhandfahrten sehr erwünscht ist. Bei größeren Fahrzeugen auf hoher See scheidet diese Lösung heute aus verschiedenen Gründen aus (man sehe sich nur einmal die riesigen Steuerriemen auf den Ndruas an). Es geht schließlich darum, dass die Ruderanlage auf einer Proa den Kräften bei Geschwindigkeiten von 15+ Knoten standhalten und dabei auch noch zuverlässig und kräfteschonend arbeiten soll. Auch die von den Ozeaniern zeitweise praktizierte Steuerung durch Gewichtstrimm, über die viel geschrieben wird, kommt bei uns mangels Masse nur ausnahmsweise und dann meist nur auf kleinen Proas in Betracht. Sie arbeitet auf größeren Fahrzeugen für unsere kleinräumigen Gewässer auch viel zu langsam und ungenau (Kollisionsgefahr!).

Wegen der hohen Ruderkräfte auf schnellen Proas kommt zur Verbesserung der Fahrzeugkontrolle nur eine Zwei-Punkt-Lagerung des Ruders in Betracht, wie sie bei anderen Segelfahrzeugen heute allgemein üblich ist. Auch beim Übergang von den Wikingerbooten zu den Hansekoggen ging die Ruderentwicklung dahin. Bei der Proa besteht bekanntlich die Schwierigkeit mit dem Ruder darin, dass das (jeweils vordere) Ruder aufholbar aber dennoch robust sein muss. Dies lässt sich bei mäßigen Kosten und unkompliziert am ehesten mit einem Ruder bewerkstelligen, das außerhalb des Rumpfes montiert ist. Das hier vorgestellte Schwenkruder ist ein solches.

Den Anstoß zu dem Schwenkruder erhielt ich übrigens beim Betrachten der Zeichnung einer Karolinen-Proa nach Admiral Paris in den Bänden „Canoes of Oceania“ von Haddon & Hornell. Dort wird ein Ruder im Einsatz gezeigt, das den seitlich geführten Rudern auf den Wikingerbooten nicht unähnlich ist (Beachtlich ist dort auch die widerstandsarme Form des Ruderblatts; vgl. Marchaj, Sail Performance, S. 208 ff.). Das Ruder wird dort erkennbar am Kopf gehaltert und mit Pinne (achteraus) bedient. Den zweiten „Lagerpunkt“ bildet augenscheinlich ein Fuß des Rudergängers und/oder die Hände des Rudergängers (mit Druck auf die Pinne). Da ich wenig Vergnügen daran fände, als Rudergänger meinen Fuß längere Zeit außenbords gegen das Ruder stemmen zu müssen, habe ich für das zweite Lager eine Konstruktion ersonnen, mit der die Anstrengung aus der Ruderführung genommen wird. Die Kontrolle der Proa kann damit entscheidend verbessert werden, weitere Vorzüge kommen hinzu.

III. Beschreibung des Schwenkruders

Die hier beschriebene Ruderanlage einer Proa besteht aus zwei baugleichen Rudern, die jeweils an den Enden des Vakas in einer Zwei-Punkt-Lagerung schwenkbar auf der Leeseite des Rumpfes montiert sind. Zur Vereinfachung wird nachstehend nur von „dem Ruder“ gesprochen.

Das Ruder selbst besteht aus einem Schaft mit rundem Querschnitt, der mit dem Ruderblatt fest verbunden ist. Es entspricht insoweit der heute weit verbreiteten Rudertechnologie auf Monos mit freistehenden Rudern. Das Ruderblatt ist vorbalanciert (15 – 20 % der Ruderfläche liegen vor der Drehachse), damit das Ruder über die Pinne mit geringer Armkraft bewegt werden kann.

Der Ruderschaft sitzt voll drehbar in einem oberen und einem unteren Lager (Abb. 1). Das obere Ruderlager (Abb. 2) ist fest mit einer Achse verbunden, die rechtwinklig zum Ruderschaft steht. Um diese Achse kann das obere Lager (und damit das Ruder) geschwenkt werden. Die Achse wird von einem Lagerblock gehalten, der an Deck so befestigt ist, dass die Achse rechtwinklig zu der Ebene der Schiene liegt, in der das untere Lager geführt wird (s.u.).

Das untere Lager sitzt auf einem Schlitten (Abb. 3), der verschiebbar in einer halbkreisförmigen Schiene geführt wird, in die eine T-förmige Nut gefräst ist (Abb. 4). Der Mittelpunkt dieser Nut befindet sich im Drehpunkt des oberen Lagers. Die Schiene ist mit der Leeseite der Außenhaut des Rumpfes fest verbolzt. Die Schiene kann aus optischen Gründen auch so in die Außenhaut eingelassen werden, dass sie mit dieser bündig abschließt (Abb. 4b), was aber sehr aufwändig wäre. Zum Ausgleich von größeren Krümmungen in der Schiene/Außenhaut könnte es vielleicht notwendig werden, den Lagerbock für das obere Lager halbkardanisch (Abb. 2) an Deck zu befestigen.

Das Ruder kann durch die oben beschriebene Art der Lagerung stufenlos zwischen den Endpunkten der Schiene in jede gewünschte Stellung geschwenkt werden. Das Schwenken erfolgt über eine Aufholer- und eine Niederholerleine, die über Umlenkrollen laufen, die an den Endpunkten der Schiene montiert sind (s. Abb. 1). Aufholer- und Niederholerleine werden für die Fernbedienung des Ruders in das zentrale Cockpit geführt.

In der Ruhestellung zeigt das Ruder zur Schiffsmitte und liegt dann fast waagerecht dicht unter der Deckskante flach an der Leeseite des Rumpfes. Für das Aktivieren des Ruders wird die Aufholerleine gelöst und das Ruder wird – unterstützt vom Eigengewicht – mit der Niederholerleine zum Schiffsende hin in die gewünschte Stellung (senkrecht oder schräg nach achtern zeigend) geschwenkt. Beide Leinen werden danach zur Fixierung der Ruderstellung in Klemmen belegt.

Zur Bedienung des Ruders ist am Ruderkopf eine Pinne angebracht, sie steht quer zum Ruderblatt. Die Pinne kann verhältnismäßig kurz sein, weil wegen der Vorbalancierung des Ruderblatts nur geringe Steuerkräfte aufzubringen sind (eine Länge entsprechend der dortigen Decksbreite sollte ausreichen). Zur Fernbedienung des Ruders greift an das Ende der Pinne ein Pinnen-Ausleger an, wie er auf Rennjollen und –katamaranen heute allgemein üblich ist. Die Länge des Pinnen-Auslegers ist so bemessen, dass der Rudergänger ihn von seinem Sitz im zentralen Cockpit erreichen kann. Mit einer handelsüblichen Teleskopeinrichtung für Pinnen-Ausleger könnte der Rudergänger für den Gewichtstrimm verschiedene Positionen auf der Auslegerbrücke einnehmen. Grundsätzlich ließe sich das Ruder auch über Seilzüge und Ruderrad bedienen. Das direkte Rudergefühl über Pinne und Ausleger und die Möglichkeit der aktiven Trimmarbeit für den Rudergänger sprechen aber eher für die einfache Lösung mit dem Pinnen-Ausleger.

Für das Ruder kann weithin auf vorhandene Rudertechnologie zurückgegriffen werden. Speziell anzufertigen wären insbesondere die beiden Halbrundschienen (Abb. 4). Hierfür kommt aus Gewichtsgründen seewasserbeständiges Aluminium in Betracht. Bevor ich an das Schweißen einer gebogenen Kastenschiene auf Flachmaterial heranginge, würde ich aus Gründen der Maßhaltigkeit eher versuchen, mit einer Oberfräse am Schwenkarm Vollmaterial auszufräsen. Da das Bogenstück der Schiene für die Rückführung des Ruders aus der Arbeits- in die Ruhestellung nicht viel auszuhalten hat, könnte dieser Abschnitt sogar schwächer dimensioniert werden. Vielleicht macht es deshalb auch Sinn, die Schiene aus zwei Teilen unterschiedlicher Stärke herzustellen. Die stark belasteten Bauteile der Ruderanlage (Schaft, oberes und unteres Lager) sollten aus Marine-Bronze oder aus V4A-Stahl hergestellt werden. Für das Ruderblatt kann verleimtes Holz oder armierter Kunststoff eingesetzt werden. Wer es sich leisten kann, nimmt High-Tech-Materialien wie Titan, Aramid oder Carbon. Zur Senkung der Reibung am Ruderschaft könnten im oberen und unteren Ruderlager geeignete Gleitlager oder auch Wälzlager eingebaut werden.

IV. Vorzüge des Schwenkruders

1. Keine Schwächung der strukturellen Festigkeit des Rumpfes durch Einschnitte in Rumpf und Deck. Keine Leckagen durch Rumpfdurchbrüche für das Ruder.

2. Sicherheitsaspekt: Störungen können leicht behoben werden, da alle Ruderelemente außen und über der Wasserlinie liegen.

3. Sicherheitsaspekt: Keine Gefahr für Ruder und Rumpf bei Grundberührung. Das Ruder schwenkt bei Grundberührung selbsttätig nach achtern/oben, wenn Aufholerleine und/oder –klemme entsprechend (als Soll-Bruchstelle) ausgelegt sind.

4. Keine Tiefgangbehinderung durch das Ruder wie beim Skeg-Ruder. Das Ruder kann durch Achteraus-Schwenken (bei Erhaltung der Ruderfunktion) auf unterschiedliche Tauchtiefen eingestellt werden. Damit kann der Vorteil des geringen Tiefgangs der Proa voll genutzt und (wie bei einfachen Steuerriemen) die Ruderfläche dem Bedarf bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Kursen angepasst werden.

5. Durch Vorbalancierung des Ruderblatts ist nur eine geringe Steuerkraft an der Pinne bzw. am Pinnen-Ausleger erforderlich. Die Reibung des Ruders in den Lagern kann durch Einsatz geeigneter Gleit- oder Wälzlager weit gesenkt werden.

6. Sicherheitsaspekt: Kein Über-Deck-Klettern beim Shunting notwendig. Die Fernbedienung des Ruders vom zentralen Cockpit ist ohne Mühe möglich. Der Rudergänger kann an seinem (geschützten) Platz bleiben.

7. Der Rudergänger kann sich mit einer handelsüblichen Teleskop-Auslegerstange bei Bedarf am Gewichtstrimm der Proa beteiligen, was bei den trimmsensiblen Proas sehr willkommen ist.

8. Ruder als Tandem. Das Ruder ist abgesenkt voll drehbar. Für enge Hafenmanöver kann zur Erhöhung der Manövrierfähigkeit das vordere Ruder zusätzlich abgesenkt werden. Es schwenkt dann mit der Vorderkante in Fahrtrichtung. Wenn die Enden der beiden Pinnen-Ausleger durch ein einfaches Gelenk verbunden werden, lassen sich beide Ruder als Tandem bedienen.

9. Der Umriss des Ruders kann zur Minimierung seines Widerstandes optimiert werden. Es braucht keinen rechteckigen Umriss zu haben wie ein Steckschwert-Ruder.

10. Relativ große Ruderwirkung durch

  • optimale Profilierung des Ruders und durch
  • relativ großen Abstand des Ruders vom Drehpunkt der Proa. Im Vergleich zum Skeg- und Trommel-Ruder ist der Ruderarm 40 - 70 % länger. Die Ruderfläche kann entsprechend reduziert werden.

11. Sicherheitsaspekt: Anders als bei Rudern, die an der Auslegerbrücke oder an der Luvseite des Vakas befestigt sind, taucht das hier beschriebene Schwenkruder bei Krängung der Proa nicht aus.

12. Sicherheitsaspekt: Das Ruder liegt in Ruhestellung flach an der Leeseite des Rumpfes dicht unter der Deckskante fest und ist anders als Ruder auf der Luvseite durch Seeschlag nicht gefährdet.

13. Sicherheitsaspekt: Da das Ruder um 360° drehbar ist, kann es bei unbeabsichtigter Rückwärtsfahrt oder beim Beidrehen nicht (wie Skegruder) blockieren und brechen.

V. Schlussbemerkung

Die Montage des Schwenkruders wird durch die schlanken Rümpfe der Proas begünstigt, da das Ruder dort sehr dicht am Rumpf geführt werden kann. Dies gilt insbesondere für Proas mit asymmetrischen Rümpfen, bei denen die Leeseite fast plan ist. Damit das Ruder in der Arbeitsstellung senkrecht oder nahezu senkrecht eintauchen kann ohne den Ruderschaft unerwünscht lang bauen zu müssen, wäre ein gewisser Überhang an den Schiffsenden, wie er z.B. bei der Karolinen-Proa oder der Kalia nach Paris gegeben ist, als Basis für die Halbrundschiene von Vorteil.

Bei einer kleinen Proa würde ich auf die Halbrundschiene verzichten und dafür eine einfache zur Schiffsmitte hin geöffnete Gabel als zweites Lager unterhalb des oberen Lagers auf die Bordwand schrauben, in die der Ruderschaft durch den Fahrtstrom hineingedrückt wird.

Ich wünsche viel Erfolg bei der Erprobung!

Hamburg, den 23. Januar 2005

Herbert Wenskus