Das Krebsscherensegel aus dem Dschungel

so wird eine Wharram HITIA 17 preiswert flügge

Es begann im Februar 2001, als mich eine E-Mail aus Panama erreichte, in der für "Island Hopping" und "Sail Trekking" geworben wurde. Mir hat der Gedanke gefallen und so begann eine fruchtbare Korrespondenz mit Dieter Hinrichsen, der gerade eine HITIA 17 von Wharram baute, um diese auf ihre Eignung zum Küstensegeln zu prüfen. Als es an das Rigg ging, wollte er das etwas uneffiziente Sprietsegel durch ein Wingsail ala TIKI21 ersetzen. Leider war der Support ungenügend und die geforderten Segel-Preise aus England zu hoch. Als er mich um einen Rat fragte, kam mir spontan das neue alte Rigg von HSS (Horizontal Sailing Systems) in den Sinn. Eine kurze Skizze nach Panama gesendet und Dieter war Feuer und Flamme für die Idee.

crabclaw skizze

Nach einigen weiteren E-Mails überraschte mich die Einladung nach Panama. Jetzt mußte ich zu meinen Vorschlägen stehen und Wunder - Beruf, Familie, etc. konnten kurzfristig unter einen Hut gebracht werden und auf einmal saßen wir im Flugzeug. Die erste Woche in Panama, in der die HITIA fertiggestellt wurde (Trampolins, Luken-Abdeckungen), konnten wir in einer zum Verkauf stehenden 15 m Ketsch im Pedro Miguel Boat Club direkt an der Schleuse wohnen. Wir nutzten die ersten Tage des Eingewöhnens zu Ausflügen in den Regenwald und einer Fahrt mit der neu eröffneten Kanal-Eisenbahn nach Colon.

Blick von unserem Domizil

Während Dieter letzte Hand an die Trampolins der HITIA legte, begutachtete ich das bereits vorhandene Baumaterial für das Rigg - Bambusstämme in diversen Längen und Stärken. Nach dem Motto "einfach ist Trumpf" wurden zur Mastauflage zwei Bambusrohre längsschiff über die vorderen Beams gelegt, mit kleinen Einschnitten gegen Verrutschen versehen und festgelascht. Das Mastlager bestand aus einem abgesägten Besenstiel, der durch die Lagerrohre und unten durch den Mast geführt wurde (siehe Skizze). So konnte der Mast auch nach vorn und hinten gekippt werden. Wir wußten ja noch nicht, wie der Segeldruckpunkt zur Lateralfläche steht, und so war großzügiges Trimmen in Längsrichtung möglich.

bambusmast
Skizze des ersten Mastes aus Bambus

Die Spierenlänge wollte ich maximal auf Boootslänge beschränken, also 17 Fuss. Nach dem vergröberten Marchaj'schen Grundsatz " 100% Crabclaw-Segel entspricht mehr als 175% Bermuda-Segel" sollte das Segel ca. 9 qm aufweisen, um so ein ca. 15 qm großes herkömmliches Segel zu ersetzen. Da die Spieren für das Segel möglichst gleich dimensioniert sein sollten, mußte der Panamesische Helfer nochmal mit der Machete losgeschickt werden. Der kam prompt eine halbe Stunde später mit einer 7 m langen Bambusstange zurück. Jetzt konnte das Rigg, zunächst noch ohne Segel, zum ersten Mal aufgestellt werden. Der Mast war, durch den schmalen Winkel des Segel bestimmt, gerade mal 1,50 m hoch!

bambusrigg Zuerst aufgeregt, dann aufgeriggt

Die Trockenübungen funktionierten prima, also war jetzt das Segel an der Reihe. Meine erste Idee es aus Folie (Polytarp) zu schneiden und zu kleben, war mangels geeignetem Material nicht machbar. Aber Dieter hatte ja von seinen Trampolins noch eine dicke Rolle Persenningstoff übrig. Der Bauschuppen wurde ausgeräumt und zur Segelmacherwerkstatt umfunktioniert. Die Stoffbahnen werden auf dem Boden ausgerollt und dann unser noch segelloses Spierendreieck daraufgelegt. Da ein Krebsscherensegel vorteilhafterweise keine "eingebaute" Wölbung benötigt, ist der Aufriss einfachst. Mit Kreide werden die Umrisse plus Nähzugabe auf dem Stoff angezeichnet - fertig und ab gehts zum Segelmacher in Form von Dieters Freundin Marlene.

Segelmacherei auf Panamesisch

Die Haushaltsnähmaschine verbraucht zwar eine Handvoll Nadeln, aber Marlene gelingt das Kunststück an einem Nachmittag. Man mag es glauben oder nicht, das Segel sitzt wie angegossen. So läßt sich unter Mißachtung der sogenannten "modernen" Segel- und Riggvorstellungen für ein paar Mark (sprich Dollar) ein Boot effektiv besegeln. Nach ein paar Trockenübungen mit dem Rigg wird alles zum Transport an den Pazifik abgebaut und das Boot zerlegt.

crabclaw segel

Ziel ist die Flamenco Bay, eine Panama-City gegenüberliegende Bucht, in der auch Dieter's Zuhause, eine 16m lange Formosa Ketsch, vor Anker liegt. Bei Niedrigwasser (Tide bis zu 4 m) wird die HITIA am Strand zusammengelascht und das Rigg aufgebaut. Die erste Testfahrt vom Strand zum Boot überzeugt uns völlig vom Prinzip und von der Wirksamkeit. Der kleine Katamaran macht auch mit drei ausgewachsenen Mannsbildern bei leichtem Wind mit seinen 9 Quadratmetern gute Fahrt.

crabclaw segeln

Es folgen eine Reihe von Testfahrten vor der Kulisse von Panama City, um die kniffeligen Manöver in den Griff zu bekommen. Interessanterweise wird mal die untere Schot zum Dichtholen, dann mal obere Schot zum Schrägstellen des Segels benutzt. Wenden sind auch mit dem Krebsscherensegel nur mit genügend Schwung zu machen, es gibt ja auch keine Fock zum Backstellen. Halsen sind dagegen eine wahre Freude, da das Segel permanent Vortrieb bringt und der "Seitenwechsel" vom Wind unterstützt wird. Um auch raume Kurse optimal ausnutzen zu können, haben wir die "Nase" unseres Segels auf einem Seiltraveller zum Verstellen angebracht. Wie seinerzeit bei meiner TIKI30 kann so das Segel vorne nach Luv gezogen werden. Resümee: Das "Horizontal Tacking Crab Claw" ist ein sehr effizientes und äußerst preiswert herzustellendes Rigg! In unseren Breiten kann ja der Bambus durch alte Surfmasten ersetzt werden. Es wäre höchst interessant, so ein Rigg einmal in größerer Form, sagen wir 15-20 qm auf einem kleinen Kreuzerkat ala TIK26 oder Strider zu erproben. Wer Lust hat, kann sich ruhig an mich wenden.

In den Perlas ging mein Bambusmastlager in einer starken Regenböe zu Bruch. Eindeutig nicht materialgerecht konstruiert. Bambus darf man nicht einschneiden, wenn er Last tragen soll. Die Reparatur auf der Isla Espiritu Santu läuft wie bei einem Dschungelrigg üblich: Machete und Säge und ab in den Wald. Eine schöne Treibholzplanke und ein dünner Stamm eisenhartes Holz - fertig ist das neue Rigg!


Der zweite Mast aus Hartholz

Nach ein paar Tagen geht es los zu den 30 sm entfernten Islas Las Perlas - mit der HITIA im Schlepp. Diese hat sich übrigens bei der Starkwind-Überfahrt hervorragend schleppen lassen.
Othmar Karschulin

Wer sich noch einen Eindruck vom möglichen künftigen Trekking-Gebiet machen möchte:

Zweiter Teil (Inselspringen im Archipielago de Las Perlas)


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