Kentern!?

... gibt es bei Multis eine eingebaute Sicherheit?

Viel wurde schon über die "Un”-Sicherheit von Fahrten-Mehrrumpfbooten geschrieben, da diese ja offensichtlich unrettbar kentern können.

Doch was ist Kentersicherheit? Jedenfalls nicht das Nichtkentern, das bei Seegang und Sturm bei keinem denkbaren Bootstyp auszuschließen ist. Kentersicherheit kann nur bedeuten, nach dem Kentern wieder eine normale Schwimmlage zu erreichen. Irgendwie habe ich den Verdacht, daß sich jedermann mit dem Multi-GAU (größter anzunehmender Unfall) abgefunden hat, bzw. wird er einfach verdrängt.

In einem Essay zur Seetüchtigkeit von Mehrrumpfbooten eines bekannten amerikanischen Multihull-Designers war als Weisheit letzter Schluß die Erkenntnis der Unsinkbarkeit. Der Multi liegt dabei „stabil” auf dem Rücken, die Crew wartet in den Rümpfen auf die Wirkung der Rettungsfunkboje und der Skipper formuliert das Schreiben an die Versicherung. Die angepriesene materialtechnische Entwicklung Multis „kentersicherer”, weil immer breiter zu bauen, bewirkt letztendlich nur, daß sie mittlererweile genauso gut über die Büge kentern können wie zuvor seitlich. Das kann es doch nicht gewesen sein!

Daher mein Versuch einmal nachzuforschen, was es zu diesem Thema sonst noch an Informationen gibt, bzw. welche Gedanken einmal auf breiter Front weitergedacht werden sollten:

Monos und Kentern

Vor dem Kentern kommt erstmal die Krängung. Hierbei wird ein Boot durch äußere Einwirkungen (Wind, Welle) in eine Schräglage gebracht. Bei einem Mono werden die Krängungskräfte bekanntenmaßen durch die Formstabilität und einen entsprechenden Ballastkiel kompensiert. Im Normalfall stellt sich eine Balance zwischen Krängungskraft und aufrichtendem Moment ein und der Mono segelt, wie üblich schief dahin. Eine Erhöhung der Kräfte z.B. durch Winddruck kann schlimmstenfalls zu einer Seitenlage führen, bis die Segel eben keinen Druck mehr aufnehmen. So verharrt der Mono, bis bessere Zeiten kommen, da sein aufrichtendes Moment aus dem Ballastkiel ja jetzt am größten ist. Diese eingebaute automatische Sicherheit ist unbestritten der größte Vorteil der Monos.

Multis und Kentern

Der Multi hat keinen Ballastkiel, so daß bei einer Seitenlage kein aufrichtendes Moment mehr existiert. Er wird im Gegensatz zum Mono langsam durchdrehen, eben rettungslos kentern. Doch erstmal zurück zur Krängung, die für die Sicherheit eines Multis wichtiger ist, als gemeinhin angenommen. Wie verträgt sich die multispezifische Formstabilität mit Krängung? Grundsätzlich schlecht. Die Krängungskräfte in den Segeln sind bei der erreichbaren „Schräglage“ eines Multis noch stärker, als dieser es mittels Formstabilität einfach so verkraften kann (bei einer Krängung von ca. 30 Grad existieren noch ca. 65% der Kräfte im Segel).

Also Krängen alleine reicht nicht gegen das Kentern. Kentern ist aber auch nicht gleich kentern. Beim Multi erfolgt es immer in zwei Stufen. Erst legt er sich auf die Seite, vom hoffentlich stabilen, leichten und schwimmfähigen Mast abgestützt. Würde er in dieser Lage verbleiben, bestünden mehr oder weniger Chancen zum Wiederaufrichten. Doch was passiert? Entweder zieht den Multi das schwere, hohe Rigg auf den Rücken oder es bricht ihm im Seegang ganz weg. Das Ergebnis ist in jedem Fall das entgültige Durchkentern. Was läßt sich nun tun? Oder was wurde bisher dagegen getan? Ich meine jetzt nicht die üblichen Hinweise auf gute Seemanschaft, rechtzeitiges Reffen oder die Schotloswerf-Automatik. Mich interessiert die „eingebaute“ Sicherheit ala Mono, wie zuvor beschrieben. Gibt es bei Fahrten-Multis so etwas überhaupt?

Katamaran

Das einfachste Rezept gegen Kat-Kentern ist ein schweres Boot mit kleiner Segelfläche, bzw. niedrigem Segeldruckpunkt. Dieses Prinzip findet sich z.B. bei den Konstruktionen von Wharram und Prout wieder. Meines Wissens ist noch kaum eines dieser Boote gekentert. James Wharram setzt nach wie vor auf V-förmige Rümpfe, die zum Einen bis nahezu 20 Grad Krängen können und zum Anderen dem zunehmendem Eintauchen einen wachsenden Auftrieb entgegensetzen.

Mit Gewicht und Untertakelung einen Sicherheitszuwachs zu erreichen, widerspricht aber dem Mehrrumpfboot-Ideal. Wind soll ja nicht „weggesteckt“, sondern in Geschwindigkeit umgesetzt werden. Um nun aber schwer bleiben zu können (der Luxus verlangt’s) und trotzdem etwas schneller zu sein, muß die Segelfläche vergrößert werden (heute leider üblich). Bei gleichbleibender Bootsgröße ist das nur nach oben möglich, mit wachsender Kentergefahr, weil schwindender Stabilität. Zwei Beispiele dazu mit der angenäherten Formel für die statische Stabilität (W=Windgeschwindigkeit, bei der das Boot instabil wird - rein rechnerisch versteht sich).

(W=Windgeschwindigkeit, bei der gerefft werden sollte - rein rechnerisch versteht sich, da kein Seegang berücksichtigt wird. G=Gewicht, SF=Segelfläche, Dh=Druckpunkthöhe, E=Entfernung der Rumpfmitten)
Ausgehend von einem untertakelten Kat mit 10 m Länge und 6 m Breite:
G: 4000 kg, SF: 50qm, Dh: 5 m, E: 5 m = 40 Knoten
er läuft nicht, also erhöhen wir die Segelfläche:
G: 4000 kg, SF: 75qm, Dh: 7 m, E: 5 m = 28 Knoten
er wird kippelig, also machen wir ihn breiter:
G:4000 kg, SF: 75 qm, Dh: 7 m, E: 6 m = 30 Knoten
und noch breiter:
G:4000 kg, SF: 75 qm, Dh: 7 m, E: 7 m = 33 Knoten
Wenn diese Formel auch nur bedingt aussagefähig ist, zeigt sie zumindest, daß die Breite bzgl. (Wind-) Stabilität keine Wunder vollbringt. Zumal sie dem Wiederaufrichten eines gekenterten Kats deutlich im Weg ist. Diese Rechenspielereien können aber leider nicht den Seegang berücksichtigen, der ja bekanntlich schon alleine für eine Kenterung ausreichen kann.

Anders lösen die Gebrüder Gougeon mit ihrer 32 er das Problem. Aufgrund der Trailerbreite von 2,5 m ist hier das Kentern höchst akut. Einmal gibt es Ballasttanks zur Stabilitätserhöhung. Diese, zum Segeln, fast zwingende Maßnahme verhindert ein Kentern natürlich nicht. Dazu hat die 32er ein „flexibles“ Rigg, bei dem in der Seitenlage der dichte Mast ins Wasser gezogen wird, damit sich das Boot wieder aufrichtet. Dieser Beitrag zur echten Kentersicherheit ist aber leider auf sehr, sehr schmale und leichte Boot beschränkt. Wieviel Auftriebsvermögen müßte wohl ein Mast haben, um einen 12x7 m Charter-Kat mit seinen 8-10 Tonnen nicht durchkentern zu lassen? Vom Aufrichten mal ganz abgesehen. Und die Idee mit dem Auftriebskörper im Masttop ist ja wohl hinreichend verrissen worden.

Im alten Mehrrumpfbuch von E.F.Cotter fand ich noch den Hinweis auf einen 45 Fuss Kat (Gewicht 7,5 Tonnen) von Ed Bond, der sich nach einer 90 Grad Kenterung wieder selbst aufrichtete. Gibt es ihn doch, den kentersicheren Kat oder war das ein glücklicher Einzelfall ? Leider waren weitere Hinweise dazu dürftig. Das Foto zeigt einen recht schmalen Kat mit hohen Rümpfen und einem bis zur Rumpfaußenkante durchgezogenen Aufbau. Also jede Menge Auftrieb in der Seitenlage - und kombiniert mit vielleicht tiefgehenden Rümpfen und einer guten „Ballastverteilung“? Wäre das die ideale Lösung, sollte man eigentlich mehr davon gehört haben. David Lewis hatte 1963 seiner „Rehu Moana“ über zweieinhalb Meter tiefgehende Kiele verpaßt, ohne damit glücklich zu werden. Nach diversen Korrekturen hat er zwar das Wiederaufrichtvermögen verbessern können, aber den letzten Beweis blieb er (gottseidank?) schuldig. Ergebnis: Es gibt bis heute keinen kentersicheren Fahrtenkat (außer Gougeon 32 m.E.). Es gibt bestenfalls welche, die weniger leicht kentern als andere. Und umgefallen bleibt umgefallen.

Trimaran

Bei Fahrten-Tris hat sich meiner Kenntnis nach noch niemand öffentlich Gedanken über die 'absolute' Kentersicherheit gemacht. Arthur Piver hat seinerzeit den Amas seiner Boote einen V-Querschnitt gegeben, um den Skipper durch eine möglichst starke Krängung aufs notwendige Reffen hinzuweisen. Ist das Volumen der Amas sehr groß, benimmt sich der Tri wie ein überbreiter Kat.

Irgendwann fliegt der Hauptrumpf, dann kentert das Boot (schlimmstenfalls über den Bug). Und aufgrund der größeren Breite, die ihm eine verlängerte Anfangsstabilität gibt, geht so ein Tri noch schneller als ein Kat kopfüber.

Kleine Amas wären doch eigentlich sicherer? Geht der Schwimmer bei starker Krängung unter, kriegt der Skipper Angst und refft. Und liegt das Boot erstmal auf der Seite, wird ein kleiner Ama mit wenig Auftrieb unter Wasser gedrückt und eine „stabile“ Seitenlage erreicht. Der erste Schritt zum Wiederaufrichten (z.B. ala Gougeon) wäre in Reichweite. Und warum macht das niemand (mehr)? Klar, beim Segeln mit kleinem Ama geht Geschwindigkeit verloren - und im Prospekt macht sich „ Speed 20 Knoten +“ besser als „nach Kenterung evtl. aufrichtbar“.

Wie wäre es denn mit dem Denkansatz, bei Klapptris den Lee-Ausleger nach einer 90°-Kenterung einzufalten? Was wirkt bei so einem einbeinigen Tri in Seitenlage noch dem Wiederaufrichten entgegen? Eigentlich nur noch das Rigg, denn der Rumpf und der senkrecht hochragende Ausleger verhalten sich momentmäßig relativ neutral. Wenn man nun das Rigg mit z.B. einem freistehender Karbonmast (Kosten mal beiseite) erleichtern würde, wäre gewichtsmäßig nicht mehr soviel von Nöten, um ein aufrichtendes Moment zu erzeugen. Ich könnte mir vorstellen, daß im Trimaran eine Menge zusätzliches Potential an dieser Art von Sicherheit steckt. Konstrukteure an die Front, und daß mir keiner sagt „es geht nicht“. Ergebnis: Es muß mit technisch vertretbarem Aufwand möglich sein, einen Fahrtentri nach dem 90 Grad-Kentern wieder auf die Beine zu stellen.

Proa

Auch wenn sie noch exotisch ist - sie ist im kommen. Wie ist es nun bei diesen „einfachen“ Auslegern um die Kenternsicherheit beschaffen?

Nicht schlecht, möchte ich sagen. Wahrscheinlich, weil sich die Proa noch recht nahe am pazifischen Vorbild orientiert, während Kat und Tri bereits degeneriert sind. Der Spruch - vom Kentern und Wiederaufrichten - vom Anfang des Artikels stammt ja auch aus Polynesien. Wie meistert nun dieses Gefährt die Kenterproblematik?

Zuerst muß die „westliche Erweiterung“ des Bootes in Grenzen gehalten werden. Das heißt in erster Linie Verzicht. Also keine 8 Kojen auf 10 m Bootslänge, keine 4 Seetoiletten, keine dicken Einbaudiesel, keine Flügelmasten, kein Rollreff - ganz einfach kein Gewicht. Was bleibt, ist ein langer, schmaler Hauptrumpf mit noch schmalerem Ama, und das so leicht wie möglich. Bei 10 Meter Länge vielleicht eine kleine Kabine in der Mitte mit 2 Kojen. Das Ganze darf dann segelfertig höchstens 750 kg wiegen. Eine Segelfläche von etwas über 20 qm ist mehr als ausreichend (entspricht ca. 30 qm/Tonne), damit bleibt auch das „primitive“ flexible Rigg mit z.B. einem einfachen Deltasegel niedrig. Soweit so gut.

Aber wie steht es jetzt mit dem Umfallen. Ich habe im Boten 1/97 meine ersten Gedanken dazu veröffentlicht. Mittlererweile weiß ich um ein halbes Dutzend besserer Varianten, die teils alleine, teils im Verbund die Kentersicherheit einer Proa bewerkstelligen können. Der Hauptgrund liegt in der Geometrie. Was ich beim Tri zuvor angeregt habe, ist bei der Proa bereits gegeben. Wird das Grundkonzept nicht mit „Hilfsflügeln“ verunstaltet (siehe Bild),

hat sie nach dem 90 Grad-Kentern nicht nur die stabilste Seitelage aller Multis, sondern bereits konstruktiv ein aufrichtendes Moment eingebaut. Ich habe mir erlaubt, eine Milchmädchenrechnung zu einem Teil der „Momente“ aufzumachen, die eine Proa in Seitenlage beeinflussen. Ausgehend von den Maßen: 10 m lang, 5m breit, Mast 5 m hoch, ergibt sich schon für einen simplen Rohr-Mast mit 15 cm Durchmesser ein Auftrieb von 235 kg (Pi sei Dank). Wird das Boot z.B. durch eine Welle weiter eingetaucht bringt alleine so ein sauber abgestützter Mast ein „aufrichtendes“ Moment von 705 kp/m ins Wasser (für das Mastgewicht meinetwegen 50 kp/m abziehen).

Und die Welle? Der leichte Ama plus Akas (angenommen 150 kg) dürften in einer Welle mit 45 Grad Neigung mit ca. 500 kpm in Richtung Durchkentern zu Buche schlagen. Bleiben grob unterm Strich 150 kpm aufrichtendes Moment übrig. Auch wenn man all die Kinetik und Dynamik mal wegläßt ein erfreuliches Ergebnis (alle Mathematiker bitte ich im voraus um Vergebung). Der Trend der Proa neigt nichts desto weniger zur Aufrichtigkeit. Hat sich der Skipper vom Umfall-Schock erholt und hat sich das Wetter gebessert, folgt spätestens jetzt der zweite Schritt. Die Proa kann ihr gesamtes Rigg „flachlegen“, bzw., „loswerfen“. Ein Zustand vor dem es jeden „verriggten“ Segler hierzulande schon in der Werft graust.

Bei den Polynesiern war diese Funktion das Non-Plus-Ultra an Sicherheit auf offener See, und zwar schon vor dem Kentern. Man sieht, bei der Proa ist mehr gefordert, als eindimensionales Hightech-Denken. „Back to the roots“ lautet die Devise. Inwieweit sich diese „Reduzierung auf das Wesentliche“ mit dem westlichen Komfort-Denken vereinbaren läßt, läuft auf ein Rechenexempel hinaus. Noch einfacher gemacht, benötigt man nur eine Waage, um herauszufinden, wieviel „Luxus“ in Gramm möglich ist. Bei Bootsgewichten unter 1 Tonne spielt nämlich der Mensch an Bord wieder eine „(ge)wichtige“ Rolle. Mit 75 kg Menschengewicht (10% der Verdrängung) und einem Hebelarm von 4 Metern bringt er ein stattliches Moment von 300 kp/m zustande. Mehr als genug, um eine leichte 10 Meter-Proa, z.B. mittels ausklappbarem Trampolin, wieder aufzustellen (falls noch nötig).

Aber das Aufrichtvermögen birgt auch Gefahren. Modellversuche haben wiederholt gezeigt, daß sich die Proa nach erfolgter Kenterung ganz von selbst wieder aufstellt. Das Boot dreht sich durch Windeinwirkung mit dem hochstehenden Ausleger nach Lee, der (starke) Wind greift unter das aus dem Wasser ragende Segel - und schwupp steht das Boot. Allerdings „atlantisch“ und der Ama wird unbarmherzig ins Wasser gedrückt. Es fehlen einfach genug Proas, um endlich echte Erfahrungen auswerten zu können.

Was sonst noch? Ach ja Geschwindigkeit, aber die ist ja bei der Proa schon Legende. Hier darf man ruhig davon ausgehen, daß eine einfallende Bö zum großen Teil in Geschwindigkeit umgesetzt wird und man der Krängung einfach „davonfährt“ (man erinnert sich „Kraft/Gewicht/Beschleunigung“).

Resümee

Ich höre schon den Vorwurf „in der Theorie ja ganz nett, aber wenn der Sturm durch die aufgewühlte See heult...“. Ich frage mich dann ganz bestimmt, was denn die Polynesier dazu sagen würden, bei denen die Basthütte längst weggeflogen war und die in ihren Einbäumen ums Überleben schöpften. Heute sitzt man den Sturm schlimmstenfalls im unsinkbaren, ausgeschäumten Aramid-Rumpf ab, hat Akas aus Kohlefaser und leichte Segel aus hochfestem Mylar-Gewebe. Das einzige was scheinbar schlechter geworden ist, ist der Segler.

Und wer nach wie vor 4 Kloschüsseln auf 10 Knoten beschleunigen muß, darf auch weiterhin 1/2 Million Mark dafür bezahlen. Proa-Virus weiterzugeben, Katamaran zu verkaufen, Leserbriefe gefragt.

Othmar Karschulin

Siehe auch "Proa und kentersicher - verträgt sich das?"